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Die Eigenmächtigkeit des Bundesrats begrenzen / Nebelspalter



In letzter Zeit scheint der Bundesrat oft in Not zu sein. Denn er regiert immer häufiger mit Notverordnungen. Dieses Recht soll nun aber beschränkt werden, mit einer Standesinitiative aus dem Kanton Zürich.

Hier sammelt ein zwölf-köpfiges Komitee Unterschriften für die sogenannte Notrechts-Initiative (siehe hier). Sie will, dass das Bundesgericht jeweils überprüfen kann, ob die Landesregierung Notrecht korrekt verhängt. Konkret sollen nationale Notverordnungen und Notverfügungen vor dem Bundesgericht angefochten werden können. Wird die Initiative vom Zürcher Stimmvolk angenommen, macht sich der Kanton beim Bund per Standesinitiative für eine solche Überprüfung stark.

Maskentragen, Zertifikatspflicht, Zwangsschliessungen und so weiter: Vor allem während der Corona-Zeit berief sich der Bundesrat geradezu inflationär auf Notrecht und erliess 19 entsprechende Verordnungen. Das Parlament hatte in den meisten Fällen nichts dazu zu sagen. Das Volk auch nicht. Nur einige Verordnungen waren zeitlich befristet. (Das Covid-Gesetz, über das später abgestimmt wurde, regelte beispielsweise das Zertifikat nur allgemein. Wo und wie lange es zum Einsatz kam, darüber entschied allein die Regierung.)


Doch mit dem Ende der Pandemie war der Griff zu Notrecht nicht vorbei. Auch bei den Sanktionen gegen Russland berief sich die Regierung darauf. Ebenso wird das fossile Reservekraftwerk im aargauischen Birr per Notrecht gebaut. Und sollten die vom Bundesrat angekündigten Massnahmen gegen Gas- und Strommangel in Kraft treten, würden auch diese auf Notrecht beruhen.

Was in den Kantonen gilt, soll auch auf nationaler Ebene gelten

«Die Hemmschwelle, Notrecht anzuwenden, ist seit Covid massiv gesunken», stellt Artur Terekhov fest, Jurist und Präsident des Initiativkomitees. Für dieses Komitee ist klar, dass es eine juristische Überprüfung von Notrecht braucht, wenn schon das Parlament und das Volk in der Regel keine Kontrolle haben.

Auf kantonaler Ebene gibt es die Möglichkeit zur Anfechtung bereits: Beruft sich eine Kantonsregierung auf Notrecht, kann ein Gericht die Anwendung überprüfen. Das führte während der Pandemie dazu, dass Studierende die Zertifikatspflicht an einer kantonalen Hochschule anfechten konnten. Gastronomen hatten hingegen keine Handhabe gegen die Zertifikatspflicht in ihren Restaurants, weil diese national angeordnet worden war. «Das ist eine absurde Situation, die behoben werden muss», sagt Artur Terekhov.


Die Grundlage in der Verfassung ist schwammig

Die Möglichkeit zu Notrecht ist in der Bundesverfassung verankert. Der Bundesrat könne Verordnungen und Verfügungen erlassen, «um eingetretenen oder unmittelbar drohenden schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äusseren Sicherheit zu begegnen», lautet der entsprechende Paragraf. Die Formulierung ist aber so schwammig, dass jeweils schwer abschätzbar ist, ob eine konkrete Anwendung von Notrecht verfassungskonform ist.


Aber in der Schweiz gibt es bekanntlich kein umfassendes Verfassungsgericht. Diese Lücke wird normalerweise mit den Volksrechten begründet: In der Schweiz kann der Souverän ein Gesetz mittels des Referendums ablehnen, wenn er der Meinung ist, dieses widerspreche der Verfassung. Nur: Bei Notrecht ist diese demokratische Kontrolle ausgeschaltet, sofern dieses nicht befristet ist.

«Ich habe kein Problem damit, dass wir keine umfassende Verfassungsgerichtsbarkeit kennen», sagt Terekhov. «Aber wenn beim Notrecht Volk und Parlament nichts zu sagen haben, muss das Bundesgericht einschreiten können.» Darum brauche es die Zürcher Notrechts-Initiative.


Die Grünen scheiterten mit einem ähnlichen Vorstoss

Es ist nicht das erste Mal, dass in der Schweiz eine Beschränkung von Notrecht verlangt wird. Bereits 2020 hat die Fraktion der Grünen im nationalen Parlament eine juristische Kontrolle von Notverordnungen des Bundesrats angeregt (siehe hier). Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats hiess den Vorstoss zwar gut, doch die Schwesterkommission im Ständerat stellte sich quer. Artur Terekhov spricht von einer «seltsamen Autoritätsgläubigkeit» der kleinen Kammer.

Er betont, dass das Initiativkomitee überparteilich zusammengesetzt sei. Diesem gehören nebst parteilosen Juristen mehrere Politiker der SVP, der FDP und der GLP an. «Wir lassen uns nicht im gewöhnlichen Links-rechts-Schema verorten», so Terekhov. Er weist darauf hin, dass vor allem auch politisch links orientierte Menschen ein Interesse daran haben müssten, dem Notrecht Einhalt zu gebieten. «Denn das nächste Mal geht es vielleicht darum, die Rechte von Asylbewerbern und Flüchtlingen notfallmässig zu beschneiden.»

Damit die Notrechts-Initiative im Kanton Zürich zustande kommt, müssen innerhalb eines halben Jahres 6000 Unterschriften zustande kommen. Die Frist läuft noch bis Ende März. Bis jetzt ist das Initiativkomitee bei knapp der Hälfte des Sammelziels angelangt.


Alex Reichmuth, Nebelspalter vom 15. Februar 2023

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